
Ankunft in einer Welt, die mit meiner gewohnten Realität nur noch durch den losen Pfad aus Veganismus und weitestgehender Konsumverweigerung verbunden ist. Ein Gelände in dörflicher Randlage, eingerahmt von Folientunneln, Bauwagen, Bretterverschlägen – und einer Atmosphäre, die selbst wohlwollende Aufmerksamkeit schnell in Fluchtinstinkt verwandelt. Der Geruch von Schweiß und feuchter Wolle wabert zwischen improvisierter Bühne und Spülstraße. Wer ankommt, wird sofort Teil einer mir bislang unbekannten Lebenswirklichkeit.
Zur Übernachtung steht ein Podest bereit, notdürftig separiert vom „Duschtunnel“. Auf dem Podest: drei Matratzen, auf denen obviously viele Kinder gezeugt wurden. Der Schlafplatz entpuppt sich als ein Bretterverschlag ohne Strom, ohne Tür, ohne Intimsphäre. Geduscht wird in offenen Verschlägen mit festmontierten Brausen. Statt Fliesen: Spanpatten und gestampfter Boden. Zwei Klos für rund einhundertfünfzig Menschen mindestens dreierlei Geschlechtes: Festes wird kompostiert. Und um diesen Prozess nicht zu verwässern, wird empfohlen, für alles andere das Pissoir zu verwenden. Kein Wasser, keine Spülung. Nachhaltig ist das schon.
Unter behelfsmäßig konstruierten Überdachungen aus teils rostigen, teils verbogenen Stangen, Planen und bierzeltgarnitürlich anmutendem Mobiliar wird das Abendessen ausgegeben: skeptisch beschränke ich mich auf Salatblätter und garniere sie mit gerösteten Sonnenblumenkernen, die aber rasch zur Neige gehen. Eine zweite Portion sitzt nicht drin. Auf den curryfarbenen Eintopf verzichte ich sicherheitshalber. Der Abwasch erfolgt individuell von Hand: in vier Gängen, ohne Spülmittel. Immerhin steht ein Schwämmchen zur Verfügung.
Das Plenum, eine Art Check in, findet in einer statt im „Da Vinci“ - eine inhaltliche Verbindung zwischen der offenstallähnlichen Konstruktion und dem aristokratisch anmutenden Namen erschließt sich mir nicht. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um bei der „Pronomenrunde“ nicht die Fassung zu verlieren: Wir nennen nicht nur unsere Namen, sondern weisen auch darauf hin, wie wir angesprochen werden möchten. In meinem Falle sei das „sie“ und „ihr“, falls ich mich als weiblich bezeichnen sollte. Geduldig klärt man mich auf, dass das ja nicht selbstverständliche sei. Ne, is´ klar. Das anschließende Verortungs- oder Kennenlernspiel fordert die Individuen, sich räumlich zu positionieren, Kassel dient als Zentrum und Ausgangspunkt. Wir bilden also eine Art Deutschlandkarte aus Körpern, kommen uns dabei unfreiwillig näher als ich es mir je hätte träumen lassen. Ich sehe der angekündigten „Bezugsgruppenbildung“ mit körperlichem Unbehagen entgegen.
Die Teilnehmer*innen+ verkörpern ihre Haltung barfüßig, mit verfilzten Haaren, ausgebeulten Leinenhosen, Rastazöpfen bis zur Hüfte und dem aufrechten Willen, alles besser zu machen. Die Altersspanne reicht von zwei Jahren bis geschätzt Mitte achtzig, man trägt selbstgestutzte Frisuren und viel Körperhaar zur Schau, Makeup scheint geächtet. Ich fühle mich mit Mascara, blütenweißem Shirt und Echtgoldkettchen geradezu aussätzig. Vielleicht gibt es hier feinsinnige, kluge, warmherzige Menschen. Vielleicht hätten sich Gespräche ergeben, Utopien auf Augenhöhe. Doch dazu kommt es nicht: für mich gibt es hier weder Raum noch Zeit dazu: zu eng, zu laut, zu offensichtlich. Ich bin lost und muss weg. Schnell.
Es ist die ostentativ zur Schau getragene öko-LGBTQ+ Ideologie, die mich emotional abschreckt. Die Dichte der konformen Überzeugung lässt keine Luft zum freien Atmen. Diese Art von Gemeinschaft ist politisches ein Projekt, ja klar, das war ja auch so angekündigt: es geht um politische Kommunen.
Was ich hier nicht finden werde, sind zu mir passenden geistige, intellektuelle, emotionale und spirituelle gemeinschaftsuchende Individuen mit Sinn für Kultur und Tiere. Wirtschaftlich, physisch und politisch will ich Distanz, Abgrenzung statt Verschmelzung. Ich will mit anderen maximal wohnen, kochen, gärtnern, Tiere schützen. Keine politische Kommune, die Eigentum, Arbeit, Entscheidungsfindung und Machtverteilung bewusst in Frage stellt. Was hier zu beobachten ist, wirkt eher wie eine Mischung aus Lebensreform und Bioladenästhetik. Das Resultat ist ein Raum, der Inklusion predigt, in mir aber Abwehr erzeugt.
Mein Rückzug erfolgt fluchtartig, dem Veranstaltenden gegenüber legitimiert durch eine Notlüge – „Mutter krank“ - und einer kurzen Nachricht an Jerry, der sich, wahrscheinlich nicht zuletzt vor dem Hintergrund seines jugendlichen Alters, gut aufgehoben fühlt. An der ersten Rastbucht am Rande der Landstraße kehrt Erleichterung ein. Ein Paket Cherrydatteltomaten, zwei Scheiben Knäckebrot habe ich sicherheitshalber dabei. Pipi im Gras, sauber, unideologisch.
Die Vorstellung von einer Nacht im zugigen Plastik(!)tunnel, ohne Strom, das Podest geteilt mit einer mir fremden Person, ohne Rückzug, ohne Chance, mein Handy zu laden oder eine Tasse Cappuccino zubereiten zu können, begleitet mich nachhaltig. Die Entscheidung zur Abreise fällt aus dem Willen zum Selbsterhalt. Zurück bleibt die Überzeugung, dass der Besuch Entscheidendes offenbart hat: für mich ist nicht jeder utopische Raum bewohnbar, nicht jede Improvisation ist charmant. Und nicht jede Absage ist Flucht – manchmal ist sie Erkenntnis.
Der Wunsch nach politischem Leben, nach Teilen, Verändern, Andersmachen ist dringlich. Aber es braucht mehr als konsequentes Gendern und eine Trockentoilette. Es braucht Würde, Vision und manchmal auch ein Waschbecken. Die Existenz einer Kommune als politische Gemeinschaft ist absolut legitim, nur für mich scheitert ein Mitmachen in dem Moment, indem sie Unzumutbarkeit mit Authentizität verwechselt.
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Dagmar (Montag, 14 Juli 2025 07:58)
So schön auf den Punkt gebracht!